Sonntag, 19. November 2017

Ai Weiwei - Human Flow

Ai Weiwei - ein Mann, der auf Missstände aufmerksam macht. Ein Mann, der für sich und sein Recht einsteht. Ein Mann, der es sich nicht bequem macht, sondern der aufsteht und Laut gibt.

Nach dem Film hatte ich auch noch die Gelegenheit, ein paar persönliche Worte mit Ai Weiwei zu wechseln.
Astor Kino Hannover, 17. November 2017
Foto: Cornelia Fett

Ai Weiwei hat auf der Biennale in Venedig Anfang September sein Werk Human Flow vorgestellt. Für diesen Film ist er in 23 Länder gereist und hat die verschiedenen Flüchtlingsbewegungen aufgesucht. Er begann Gespräche mit den einzelnen Menschen und erfuhr deren persönliches Schicksal.

Ai Weiwei ist am 28. August 1957 in Peking geboren und weiß, was es heißt, nicht in seiner Heimat leben zu können. Er ist der Sohn des Dichters und Malers Ai Qing mit dem er sich 20 Jahre lang auf der Flucht befand. Ai Weiwei ist Menschenrechtler und gestattet sich in der Kunst jegliche Form des Ausdrucks. Nach regierungskritischen Äußerungen wurde er 2011 inhaftiert und erhielt im Anschluss seinen Pass nicht mehr ausgehändigt. Damit einher ging ein Reiseverbot, dass er bis 2015 erdulden musste.

Wenn man die Bilder in der Dokumentation Human Flow sieht, wie kann man dann noch eine Diskussion über die Obergrenze führen?

Auch wenn der Film von Ai Weiwei Auszeichnungen erhielt: auf der Biennale zeigten sich zunächst die Journalisten enttäuscht und für das Publikum stand der Film an unterster Stelle.
Human flow ist kein politisches Statement - dieser Film lässt Bilder und Menschen sprechen.

Und so sehen wir am Freitag, dem 17. November 2017 in Gegenwart von Ai Weiwei seinen Dokumentarfilm.



Erst einen Tag zuvor, am Donnerstag, dem 16. November 2017, erhielt Ai Weiwei für seinen Mut den Bambi verliehen. Eine Welle der Sympathie schlug ihm dabei entgegen.
Nach der Preisverleihung ist in Hannover im Astor Kino der erste Halt in einer deutschen Stadt. Ai Weiwei bedankt sich nach der Filmvorführung bei uns, dass wir erschienen sind. Er sagt, er habe den Preis in der Kategorie Mut bekommen, doch

"wir alle brauchen Mut in unserem alltäglichen Leben. Und erst der Mut macht das Leben schön! Schließlich ist es so, dass unser Leben nicht immer in einem perfekten Modus abläuft, unschöne Begebenheiten machen den Mut für uns alle notwendig."

Im Anschluss daran, steht Ai Weiwei dem Publikum Rede und Antwort. Ai Weiwei hat eine Dolmetscherin an seiner Seite und antwortet entweder auf chinesisch, später auch in englischer Sprache.

Auf die Frage

"Wie sind Sie auf die Idee gekommen das global zu filmen?"

antwortet er, dass es persönliche Beweggründe für diesen Film gibt. Schließlich ist er selbst Emigrant. Er kommt aus China und lebt nicht in seiner Heimat. Ai Weiwei war während der Verfolgung seines Vaters dabei - 20 Jahre lang auf der Flucht. Und die Flüchtlinge kommen nicht alle nur aus Syrien - da es ein globales Problem ist, hat er sich dem Thema auch global gewidmet. Erst kürzlich sind 500.000 Menschen geflüchtet - aus Bangladesch - Myanmar.

"Armut, Krieg und Umweltbedingungen sind dabei die Hauptgründe zur Flucht.
Nur, wenn wir erkennen, dass jeder von uns ein Flüchtling war oder ist oder die Familie fliehen musste, dann können wir weitergehen, die Verbindung von Gesellschaft und Politik erkennen, unsere hohen Ideale schützen!"

Bezüglich der Frage, ob es vorgesehen ist, diesen Film Human Flow zur Pflichtlektüre an Schulen zu machen, antwortet er, dass die Produzenten des Films in Kontakt mit Behörden, Politikern und NGO´s stehen. Es ist vorgesehen, diesen Film in Deutschlands und Amerikas Hoch- und Privatschulen zu zeigen.

"Es ist schon befremdlich, hier sitzen zu können, den Film zu sehen und Popcorn zu essen während andere Menschen dieses unendliche Leid erdulden. Wie war es denn für Ai Weiwei auf seiner Reise rund um die Dokumentation? Während andere höchstens ein Zelt besitzen - besitzt er ein Atelier in Berlin."

Auch diese Frage aus dem Publikum beantwortet Ai Weiwei umfassend:

"Wir sind alle ungleich - In der Gesellschaft gibt es unterschiedliche Stellungen, Positionen. Man kann nicht erwarten, nicht erreichen, dass alle in der selben Position existieren können. Es geht darum, diese Flüchtlinge zu uns sprechen zu lassen und die Gefühle sprechen zu lassen und die Situation zu zeigen."

Ein weiterer Gast möchte wissen, wo der Abstand zwischen Kunst und Leben bei Ai Weiwei angesiedelt ist. Er war erstmals während einer Ausstellung in London auf Ai  Weiwei aufmerksam geworden.

Auch hier nahm sich Ai Weiwei Zeit. Er sagt, dass er als Künstler eine Antwort für sich selbst finden muss.

"Es geht um den Abstand zwischen Wahrheit und Kunst. Ich als Künstler muss eine Form dafür finden. Eine individuelle Antwort, die ich auch nur für mich geben kann. Ich suche also danach, eine kongeniale Form für die von mir empfundene Diskrepanz zwischen einer existierenden Realität und meinen Gefühlen zu finden. Und die gebe ich." 
"Flucht", so sagt Ai Weiwei, "ist immer etwas Allgegenwärtiges. Sie war immer da und sie wird immer da sein!"

Eine weitere, sehr wichtige Frage aus dem Publikum lautete:

"Wir können die Flucht nicht stoppen! Was können wir machen, damit diese Welt ein besserer Ort wird?"

Ein Patentrezept hat Ai Weiwei dafür nicht. Aber er weiß, dass wir als Menschheit immer in schwierigen Zeiten unterwegs waren.

"Zur Zeit durchleben wir in Europa, China und Amerika die wohl friedlichsten und besten Zeiten. 
Flucht und Vertreibung wird es weiterhin geben. Die Mission im allgemeinen, dass dies aufhört, bleibt eine Illusion."

Ai Weiwei gibt zu bedenken:
"Es ist wichtig, zu erkennen, dass Flucht und Vertreibung die Kraft hat einen inneren Reichtum herzustellen. Tatsächlich ist die schwierige Situation, in der wir uns als Menschen befinden, auch durch Menschen gemacht. Also sollte der Mensch das auch wieder beseitigen. Wie es zur Flucht und Vertreibung gekommen ist? - Das müsse man ergründen. Und diese Wurzel sollten wir ausreißen. 
Ein durch Menschen gemachtes Problem - durch Menschen beseitigen."

Eine Chinesin meldet sich zu Wort. Sie ist stolz, dass China einen Mann hat, der solch einen Film gemacht hat.

"Danke für den Film!
Als Chinese im Westen hat man ebenfalls Probleme, Schwierigkeiten, manchmal geht uns der Mut aus.", klagt sie. "Um wieviel mehr aber geht diesen Menschen der Mut manchmal aus, die nicht unterkommen und sich noch auf der Flucht befinden?"

Ai Weiwei
"Ich bin kein mutiger Mensch! Ich bin voller Widersprüche. Ich habe viel erlebt,  ich spüre der Sache nach, das ist mir wichtig. Da finde ich immer wieder neue Antworten. Was ist der Preis, der Wert eines Menschen? Es reicht nicht, warm angezogen zu sein und was zu Essen zu haben.
Entscheidend ist, wie jeder einzelne im Dialog in Kontakt in Beziehungen mit anderen Menschen interagiert.
Das ist vielleicht eine sehr asiatische, östliche Sichtweise des Menschenlebens.
Ich habe eine naive simple Sichtweise: Das Wichtigste ist: Fairness, Gerechtigkeit, Gleichberechtigung.
Das sind die Werte, die mir am meisten am Herzen liegen."

Die Chinesin erzählt weiter:
"Ich studiere hier in Hannover. Es sind Flüchtlinge unter den Kommilitonen. Auch nach der Flucht sind die folgenden Jahre gefüllt mit weiteren Schwierigkeiten. Man muss immer wieder Mut aufbringen, sich weiter zu integrieren. Im neuen Land anzukommen, Fuß zu fassen, zu überleben." Sie fragt daher: "Ist es beabsichtigt, einen weiteren Film über den Fortgang nach der Flucht zu drehen?"

Ai Weiwei verneint dies:

"Über die Periode und danach sind weitere Filme nicht geplant. - Sonst würde ich ja mein Leben lang nicht fertig werden."

Ai Weiwei:
"Die Hauptbarriere ist sicherlich der mangelnde Respekt und das Selbstwertgefühl der Flüchtlinge. Das wird sich auch noch bei den Nachkommen auswirken. Die Art und Weise, wie sie angeguckt werden und wie sie sich selbst wahrnehmen. Dies verändert die Lebenswirklichkeit nicht nur für den betreffenden Flüchtling an sich sondern auch für die Kinder und Kindeskinder.
Wir alle müssen diese Erde miteinander teilen!"


Jemand aus dem Publikum bemerkt, dass es schön sei, dass Ai Weiwei für diese Dokumentation einen Bambi erhalten hat. Von einem Politiker! -

"Doch wäre es nicht  viel schöner, wenn eben dieser Politiker sich dafür einsetzt, dass die Politik sich ändert und wir einen solchen Film nicht benötigen?" 

Ai Weiwei:
"Einige der Aufnahmen sind von sehr weit oben aus einem Flugzeug gemacht. Die Menschen erscheinen wie Ameisen! -
Wenn man sich noch weiter entfernt, erscheint die Welt als ein kleiner blauer Tropfen - die Erde aus der Entfernung.
Unglaublich, dass man das nicht teilt!! - Ich bin Du und Du bist ich. Das sollten wir verinnerlichen! Und das Gefühl teilen!
Kafka hat einmal gesagt - Menschen, die Glauben - haben Glauben, Menschen, die Zweifel haben, zweifeln.
Ein jeder hat sein Glaubenssystem!
Es ist so, dass manche Menschen teilen, manche eben nicht. Daran können wir nichts ändern. Dieser Film ist ein Beitrag, ein Werkzeug. Ein Versuch, Menschen zu überzeugen, Menschen darauf aufmerksam zu machen."

Und das ist Ai Weiwei mit dem Film gelungen: Diese Dokumentation macht Menschen aufmerksam. Und Ai Weiwei stellt diese Dokumentation der breiten Masse zur Verfügung. Jeder kann diesen Film sehen.

Zu meiner linken Seite sitzt ein Mann. In Begleitung ein junger Mann namens Mustafa. Mustafa ist Filmeditor aus Afghanistan. Sein derzeitiges Zuhause befindet sich in einer kleinen niedersächsischen Stadt: in Zeven. Weitere 30 Afghanen sind dort ebenfalls untergebracht. Mustafa hat einen Film von 22 Minuten Länge gedreht. Diesen hat er Schulen angeboten, die bislang leider alle abgelehnt haben.
Und so fragt der Mann, der ehrenamtlich in Zeven die Betreuung dieser aus Afghanistan stammenden Flüchtlinge übernimmt:

"Was muss ich tun, um Sie, Ai Weiwei, nach Zeven einzuladen und Ihren Film zu zeigen?"

Ai Weiwei lächelt.
"Ich mag kleine Städte sehr gern! Ich werde kommen, wenn es meine Zeit erlaubt. Der Grund, den Film zu machen, liegt nicht darin etwas Gutes, Richtiges zu tun. Sondern das Menschsein an und für sich, so etwas zu tun. Ich hoffe, dass Mustafa einen Film macht, den andere Menschen gerne sehen werden."

Der Film Human flow hinterlässt auch bei mir viele Eindrücke:

Der Film zeigt Menschen, die ihres Zuhauses beraubt wurden. Die sich mit ihren Familien auf den Weg machen ein neues Zuhause zu finden. Die all ihr Hab und Gut, ihre Wohnung, ihr Haus, aufgeben und sich mit ihrer Familie und ihrem Ersparten auf den Weg machen, eine Zukunft zu finden. Eine Zukunft, in der sie nicht Hunger leiden müssen, eine Zukunft, in der sie nicht ums nackte Überleben kämpfen müssen, da in ihrer Stadt Bomben vom Himmel fallen, wie Regentropfen. Einem Zuhause mit Bildung und einer Zukunft für ihre Kinder. Ein Leben, dass sie in ihrer Heimat nicht mehr führen können.

Der Film zeigt, dass diese Menschen genau dieselben Wünsche und Hoffnungen haben wie wir. Sie wollen eine gesicherte Zukunft für sich und ihre Kinder, sie wünschen sich ein sauberes Zuhause, sie wollen Arbeiten und Lernen. Sie wollen die Welt bereisen - und sei es nur um zu sehen, ob es anderswo anders oder ganz genauso ist.

Lasst uns diesen Menschen mit Respekt begegnen. Ein erster Schritt ist dann bereits getan.

Wenn wir es schaffen, einen Tiger - trotz aller widrigen Umstände und jeder Menge Papierkram und Sondergenehmigungen - zu verschiffen und ihm ein würdiges Zuhause zu geben, warum tun wir uns so schwer, Menschen ein würdiges Zuhause zu geben?

Wir können uns wirklich glücklich schätzen, dass es Menschen gibt, die Menschenrechte achten und auch noch heute dafür kämpfen. Denn leider ist es auch heute noch nicht überall auf der Welt so friedlich, wie es sein könnte.




Quellen:
Ai Weiwei - Wikipedia







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